Interview: Der Lebens-Coach

Interview im Stadtmagazin Köln im Juli 2012

„Der Lebens-Coach: Wie Frank Sauer gegen die Depression der 2000er zu Felde zieht“

Foto: Julia Hüttner

Erzähl doch bitte etwas über Dich selbst.

Geboren wurde ich im Mai 1964 im südlichen Hessen. Aufgewachsen bin ich inmitten einer Großfamilie, deren Wichtigkeit ich leider erst erkannte, als ich selbst Kinder hatte. Schon früh zog es mich in die Ferne. Ich war beruflich viel auf Reisen, vor allem innerhalb Deutschlands, aber auch in der Schweiz, in den USA, in Spanien, Bulgarien, Lettland und Dubai. Mit 25, nach einem schlimmen Autounfall und langer Krankheit, kündigte ich meine Festanstellung als IT-Techniker bei einem internationalen Konzern und gründete meine erste Firma. Wir bauten Computer und verkauften Warenwirtschaftssysteme. Die größten Ereignisse meines Lebens aber sind meine drei Söhne. Zwei davon sind bereits erwachsen (17 und 18) und zeigen mir heute, wie ich mich in diesem Alter wohl besser hätte verhalten sollen (lacht). Heute lebe ich ganz beschaulich mit meiner Lebensgefährtin und meinem jüngsten Sohn (5 Monate alt) in Köln. Ich habe diese tolle Stadt erst spät entdeckt und mich sofort in sie verliebt.

Wie bist Du zu Deiner Berufung gekommen?

Schon vor über 20 Jahren, als ich noch IT-Berater und -Trainer war, haben mir meine Kunden gerne und freizügig ihre beruflichen und privaten Probleme oder Lebensträume erzählt. Intuitiv habe ich dann offensichtlich die richtigen Fragen gestellt und so haben sich später tatsächlich einige Lebensentwürfe dieser Kunden realisiert. Ich fand das großartig, so dass ich beschloss, daraus einen Beruf zu machen – auch wenn es Coaching und eine akzeptierte Nomenklatur noch nicht gab. Geholfen haben mir dann die Bücher von Timothy Gallwey und John Whitmore. Die beiden haben den Begriff so definiert, dass hier nicht mehr nachgebessert werden muss. Darüber hinaus hatte ich wahrhaft großartige Unternehmer oder ehemalige Vorstände von großen Konzernen als Mentoren. Ich liebe, was ich tue und bin mir der Verantwortung als Coach sehr bewusst.

Es ist bis heute nicht wissenschaftlich erwiesen, ob „coaching“ überhaupt irgendeine Wirkung hat. Außerdem ist die Berufsbezeichnung nicht geschützt, also kann sich jeder „Coach“ nennen.

Ebenso wie bei „Beratern“ sind also viele „Coaches“ Betrüger. Wie wirkt man als seriöser Coach dagegen?

Bis heute sind viele lebenswichtigen Phänomene um uns herum nicht wissenschaftlich bewiesen, und doch sind sie da. Deswegen kann und muss man nicht alles zertifizieren, auch wenn gerade wir Deutschen danach streben. Sicher ist das einer der Hauptgründe, warum es den Beruf des Coachs offiziell nicht gibt und nicht geben kann. Ich glaube nicht, dass wir von Betrügern sprechen sollten. Diese selbsternannten Coaches sind nur Trittbrettfahrer und haben eine falsche Vorstellung davon, was Coaching ist. Und auch in anerkannten Berufen gibt es Gauner. Wir haben in Deutschland heute eher das Problem, dass Psychologen das Zepter nun auch beim Coaching in die Hand genommen haben. Damit wurde dem Wesen des Coachings – dem gesunden Menschenverstand und der intuitiven Wissensverarbeitung – der Boden unter den Füßen weggezogen.

Ich will hier nicht alle über einen Kamm scheren, aber Coaching ist eine Philosophie und darf nicht in ein zertifiziertes Korsett gepresst werden! Außerdem – und das ist fast das Wichtigste – muss der Coach selbst durch einige Veränderungsprozesse hindurch gegangen sein. Sollte der Kunde psychisch krank sein, so braucht er eine Therapie und hat wiederum bei einem Coach nichts zu suchen. Im Gegenteil, das kann sogar fatale Folgen haben. Umgekehrt, sollte ein Psychologe die Finger weg lassen, wenn der vermeintliche Patient eigentlich gesund ist. Geistige Gesundheit erkennt man daran, dass sich jemand selbst reflektieren kann und eine Grundmotivation besitzt. Leider wird diese Abgrenzung nicht vorgenommen und im Zweifel ein Rezept ausgestellt. Somit werden zu viele Menschen zu Patienten erklärt, obwohl sie überwiegend gesund sind. Mein Vorschlag wäre, dass wir vor dem Wort Coaching ein jeweiliges Fachwort davor setzen, z.B. Management-Coach, Psychologischer Coach, Sport-Coach oder ähnliches. Ein Kunde, der sich coachen lassen möchte, muss selbst entscheiden, zu wem er geht. Er wird den für sich passenden Coach selbst finden müssen. Wie das geht? Das kann er mich gerne selbst fragen. (lacht)

Woran erkennt man einen guten Coach?

Hauptsächlich daran, dass er überdurchschnittlich interessiert und empathisch ist. Empathie ist die Fähigkeit, Persönlichkeitsmerkmale, Absichten, Emotionen und Gedanken eines anderen Menschen zu erkennen und zu verstehen. Ab und zu darf und sollte ein Coach auch angenehm unbequem sein. Diese Fähigkeiten erwirbt man zweifelsfrei in keinem Studium, sondern nur durch beständiges, aufrichtiges Interesse an seinen Mitmenschen, aber auch an sich selbst: das Beobachten seiner eigenen Struktur zu Denken und zu Handeln. Ein guter Coach hat eine hohe Sensibilität, ein überdurchschnittliches Wissen über Lebensführungen und dessen Auswirkungen sowie eine sehr gute Wahrnehmung, für das, was tatsächlich vor sich geht. Er bewertet nicht, sondern gibt Hinweise und Denkanstöße. Letztendlich aber erkennt man ihn daran, dass er nachhaltig „gut tut“. Ein echter Coach verhilft anderen zur Motivation von innen, also Lebensfreude und Lust zur Aktivität.

Wie sieht Dein Alltag aus?

Sofern es geht: ausschlafen, viel lesen und möglichst schlaues Zeug schreiben, gelegentlich zu viel denken (lacht) und natürlich coachen. Viel Zeit mit meiner Familie verbringen, kochen und meiner Leidenschaft – dem Komponieren von Musik – nachgehen.

Ist es schwierig, in dieser Branche Fuß zu fassen – ist das Pflaster in dieser Branche heiß umkämpft, oder kennt man seine Kollegen kaum?

Als ich anfing, hatte ich das Problem, dass Coaching niemand kannte. So erzählte ich, wo immer ich konnte und durfte, dass Coaching eine Art Heilsbringer der Zukunft sei. Man konnte das aber nicht so richtig greifen. Erst als ich später erklärte, dass der Coach heute das macht, was eigentlich Eltern, ältere Verwandte und Mentoren hätten tun sollen, verstand man, wovon ich sprach. Schwuppdiwupp, 16 Jahre später finden wir bei Amazon.de alleine in deutscher Sprache über 3.000 Bücher zum Thema. Zugegeben, eines davon ist von mir (lacht). Ja, der Markt ist heiß umkämpft, aber es kommt sicher eine Zeit der Konsolidierung. Heute brauchen wir mehr Coaching als jemals zuvor, denn die Unzufriedenheit war noch nie so weit verbreitet wie heute. Je mehr der Mensch besitzt, desto mehr verliert er die Orientierung. Heute wird zwar sehr viel über Werte gesprochen, aber niemand weiß so recht, was damit gemeint ist. Meiner Meinung nach braucht fast jeder Mensch irgendwann in seinem Leben mindestens einen Coach, also ist genug für alle zu tun.

Wenn Du in ein Büro gerufen wirst, um die Mitarbeiter zu motivieren, was tust Du als erstes, wenn Du ankommst? Hältst Du nach bestimmten Anzeichen für Demotivierung Ausschau?

Zunächst prüfe ich, ob ich mich in der Atmosphäre wohl fühle. Ich schaue anfangs nicht gezielt auf Konkretes, sondern lasse erst mal alles auf mich wirken. Augenmerk lege ich jedoch auf die vorherrschende Kommunikation, denn hier befinden sich die meisten demotivierenden Elemente. Ich messe dann das vorhandene Maß an Respekt, Redlichkeit und Loyalität. Motivation resultiert aus den „echten“ vorhandenen Zielen des Unternehmens und jedes Einzelnen sowie der Möglichkeiten, diese tatsächlich erreichen zu können. Das, gepaart mit Disziplin, ist der Nährboden jedes Erfolges. Darüber hinaus gibt es viele Werkzeuge, die man als Coach kennen muss, die aber nur bei Bedarf aus dem Hut gezaubert werden. Es handelt sich hierbei um Managementwerkzeuge, aber auch um lebensgestalterische Prinzipien und Gesetzmäßigkeiten.

Kaum noch jemand scheint im Stande zu sein, seinen Lebensentwurf umzusetzen – ist das Fernsehen schuld? Warum ist Lustlosigkeit und Burn Out-Syndrom zu so etwas wie einer Volkskrankheit geworden?

In unserem technologischen Kulturkreis dürfen wir leider keine Zeit mehr für uns selbst haben, keine Muse für das Leben an sich. Wir interessieren uns für viele Dinge, die zweitrangig sind: Aktienkurse, neue Handys, tolle Autos und andere Besitztümer. Wir wollen „haben“ – und das zwingt uns dazu, überdurchschnittlich viel Geld zu verdienen. Damit wollen wir uns dann Zeit kaufen, welche jedoch schon längst vorbei gezogen ist – für immer. Das ist wie ein Strudel, der uns hinunter zieht. Ab 35 geht’s los, ab 45 merken wir es, mit 55 sind wir krank. Zeit ist das wertvollste Gut, das es gibt, deswegen sollten wir lernen, sie „jetzt“ zu nutzen, für das, was wirklich wichtig ist. Vielleicht sollten wir jegliche Werbung abschaffen – nur mal für 6 Monate und beobachten was mit uns allen passiert. Ach ja, Fernsehen. Eine tolle Erfindung, die leider an gehaltvollem Inhalt mangelt. Ich behaupte, dass die meisten Fernsehzuschauer sich selbst abschalten – also quasi bewusstlos werden, sobald sie den Fernseher anschalten. Leider kann ihnen dann keiner mehr heraushelfen – außer vielleicht ein Stromausfall (lacht).

Wie lautet Dein „Lebensmotto“?

Im beruflichen Kontext: Jede Entscheidung ist besser als keine! Insgesamt: Leben und leben lassen!

Wie läuft so ein Coaching-Gespräch ab? Triffst Du Deinen Kunden und sagst ihm, dass er tolle Arbeit leistet, oder gehst Du eher tiefenpsychologisch ans Werk?

Nein, keine Psychologie, die ist beim Coaching unangebracht. Sorry, aber die meisten Psychologen sind aus meiner Sicht als Coach nicht geeignet, da sie wissenschaftlich und theoretisch agieren und als „Doktor“ wahrgenommen werden. Der Klient ist kein Patient und kann nur gecoacht werden, wenn er sich relativ gut selbst reflektieren kann. Ein Coachee ist jemand, der sich bewusst dazu entscheidet, seinen Lebensverlauf zu korrigieren und die Verantwortung dafür nicht abgibt. Ein Psychologe ist prinzipiell eine andere Instanz, die den Klienten unterschwellig zum Patienten macht. Leider also ein Fehler im System. Ein Coaching-Gespräch ist eine methodische „Plauderei“, die ein klares Ziel verfolgt: Eine Verbesserung in einem Bereich, den der Coachee optimiert haben möchte und dazu einen Sparringspartner braucht. Das typische Gespräch gibt es nicht, außer, dass der Coach gezielte Fragen stellt, um den Fokus auf das Problem und das Ziel gleichermaßen zu halten. Dabei wird der Coach motivieren, indem man sich auf die Stärken und Ziele des Klienten fokussiert. Coaching ist keine Therapie, sondern appelliert an den gesunden Menschenverstand und fördert aktiv die Lebensgestaltung.

Wenn Du einen anderen Beruf hättest wählen müssen, welcher wäre das?

Komponist und Musiklehrer. Musik ist das wertvollste Kulturgut aller Zeiten. Jeder sollte es mal ausprobieren, um sich selbst näher zu kommen.

Mit was kommst Du gar nicht zurecht – sei es beruflich oder privat?

Kinder sind von Geburt an vollwertige Menschen. Das glauben viele Erwachsene nicht. Zum Beispiel hat es fatale Folgen, ein Kind ständig herabzuwürdigen für etwas, das es noch nicht kann oder darf, anstatt ihm zu helfen, es zu lernen und dabei Mut zu machen. Erwachsene setzen sich gerne einfach über die klaren Wünsche und Entscheidungen ihres Kindes hinweg, weil sie diese meistens als Trotz abtun. Auch hört man viel zu oft „dafür bist Du noch zu klein“, „das darfst Du nicht haben“ oder „das verstehst Du nicht“ und ähnliches. Dann darf man sich nicht wundern, wenn die Kleinen entweder krank werden oder später als Jugendliche rebellieren. Wir müssen äußerst respektvoll mit jungen Menschen und ihren Talenten umgehen und ihnen erst nach ihrer Selbsterkenntnis – welche meist während der Pubertät eintritt – Disziplin beibringen wollen. Sie werden es uns danken – irgendwann. (lacht) Das klingt jetzt etwas pathetisch, aber mit dieser Achtsamkeit werden wir eine neue friedvolle und gleichzeitig dynamische Kultur schaffen.

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