Interview: Entscheiden ist konsequentes Handeln

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Interview mit dem Journalisten Oliver Heil im Januar 2012


„Entscheidungen treffen ist keine Sache der Abwägung, sondern der Konsequenz“ – Ein Interview mit Coach Frank Sauer.


Wir treffen Frank Sauer in einer kleinen Weinstube. Er kommt in Sweat-Jacke und mit einem ganz einfachen schwarzen Rucksack auf dem Rücken. Er hat keinen Doktortitel und sein Auto erzeugt auch keinen Status-Neid. Aber es gibt Einiges im Leben von Frank Sauer, auf das man neidisch sein kann. Dass er nie gekniffen hat, wenn es galt, Entscheidungen zu treffen, zum Beispiel. Mehrmals hat er einen sicheren Posten aufgegeben, um was ganz Anderes zu machen. Es hat sich für ihn immer gelohnt. Er ist jedes Mal von ganz unterschiedlichen Menschen für bescheuert erklärt worden. Es hat ihn nicht gestört. „Meistens, wenn wir glauben uns zu entscheiden, treffen wir in Wahrheit gar keine Entscheidung“, sagt er. Weil es uns an Mut fehlt, weil wir wissen, dass wir es nicht allen Recht machen können, wenn wir eine Veränderung einleiten. Das sei schon der entscheidende Fehler: Darüber nachzudenken, was die anderen wollen. Warum er sich bei manchen Klienten freut, wenn die sich gegen eine Veränderung entscheiden und warum es tausendmal besser ist, gleich das Riesen-Problem anzugehen, statt kleinmütig erst mal mit den einfacheren Fragen anzufangen, steht in unserem Interview mit diesem hochinteressanten Multitalent, das vor Kurzem zum dritten Mal Vater geworden ist, das sich gerade zum fünften Mal neu erfindet und das sich dabei (fast) immer selbst treu geblieben ist.

TSI: Herr Sauer, weil wir uns jetzt den Rest des Abends über Entscheidungen unterhalten, wollen wir lieber ganz sicher gehen: Was ist das eigentlich ganz genau, eine Entscheidung?

Frank Sauer: Das ist tatsächlich eine ganz wichtige Frage. Was eine Entscheidung ist, das wird eigentlich nirgendwo definiert. Was dann dazu führt, dass alle Menschen glauben, sie würden sich ständig entscheiden, während sie sich in Wahrheit vor Entscheidungen drücken.

TSI: Und Sie haben die Definition für „Entscheidungen“?

Sauer: Ja, ich denke schon, aber dazu muss ich ein bisschen ausholen.

TSI: Na gut, aber spätestens am Ende des Interviews nageln wir Sie fest!

Sauer: In Ordnung. Also: Um das Wort Entscheidung zu erklären, erkläre ich gerne als erstes das Wort Enttäuschung, Ent-Täuschung, das Ende oder besser der Abschied von einer Täuschung. So auch bei der Ent-Scheidung, da hört etwas auf, geschieden zu sein und es kommt zusammen, was auch zusammen gehört. In unserem Fall eben im Kopf eines Menschen, der einen unklaren Zustand verlässt und die Dinge zusammenfügt: So passt das zusammen, so wird es gemacht.

TSI: Das ist interessant, auf jeden Fall. Aber am Ende des Tages doch nur Sprachphilosophie.

Sauer: Klar, aber ich musste damit anfangen, dann verstehen Sie den Rest besser. Ich habe jetzt an die 600 Menschen gecoacht, die meisten von ihnen Führungskräfte. Und da habe ich festgestellt, dass selbst unter diesen Entscheidern die meisten sich in einem Zustand eingerichtet haben, in dem sie die Dinge eben nicht zusammenfügen. Weil sie die Veränderungen fürchten, weil sie Angst haben, es nicht allen Recht zu machen und aus Angst davor, Fehler zu machen.

TSI: Und dann rufen die bei Ihnen an, weil sie sich von Ihnen einen kräftigen Arschtritt erhoffen. Damit sie sich trauen, den Weg zu gehen, den sie insgeheim längst als den richtigen erkannt haben.

Sauer: Eigentlich ist es nicht so konkret. Was Sie meinen ist eher was für die Consulting-Firmen, die werden geholt, damit sie dann die schmerzhaften Schritte einleiten, die eigentlich niemand aus der Firma verantworten will. Nein, ich werde aus anderen Gründen gerufen.

TSI: Aus welchen Gründen denn?

Sauer: Eben auch, weil sie lernen wollen, wie man schnell, effektiv und richtig Entscheidungen fällt.

TSI: Und wie bringen sie denen das bei.

Sauer: Ich kann sie im Grunde nur lehren, überhaupt Entscheidungen zu treffen, der Rest ergibt sich dann von selbst. Ich gebe den Menschen das nötige Werkzeug an die Hand. Ein paar wichtige Grundregeln. Damit können sie dann in Zukunft leichter Entscheidungen fällen, was dann auch heißt, leichter führen, schneller wissen, wo es langgehen soll.

TSI: Jetzt sind wir bei den großen und den kleinen Problemen angekommen, stimmt´s?

Sauer: Stimmt. Noch ein Beispiel: Ich kann mir abends Gedanken machen, ob ich jetzt mit meiner Frau Essen gehen möchte, dass es dann aber wieder mal Streit geben könnte. Dann entscheide ich mich für oder gegen das Dinner. Jetzt habe ich das Gefühl eine Entscheidung getroffen zu haben. Aber das ist eigentlich Blödsinn. Die tatsächliche, die große Frage, die der Dinner-oder-nicht-Entscheidung zu Grunde liegt, ist doch offensichtlich: „Will ich überhaupt noch mit meiner Frau zusammen leben oder nicht?“ Aber vor genau der Frage drückt man sich normalerweise, aus Angst vor den Konsequenzen.

TSI: Ja, aber wer will schon die unangenehmen Folgen von Entscheidungen aushalten?

Sauer: Das ist nichts Schönes, so viel ist klar. Nur: Da trennt sich die Spreu vom Weizen. Die einen halten das aus, die anderen eben nicht. Meine These: nur fünf Prozent der Menschen sind Entscheider, die können das einfach. Deswegen sind sie erfolgreich und psychologisch gesehen ausgeglichene Menschen.

TSI: Und der Rest? hat Pech?

Sauer: Der Rest kann es lernen. Es ist aber bei den restlichen 95 Prozent nicht Teil ihrer anerzogenen Persönlichkeit. Und diese Menschen unterscheiden sich untereinander noch mal sehr stark darin, wie weit sie lernen können, Entscheidungen zu treffen. Dabei ist es nur ganz wichtig, dass ich abseits bleibe, ich will ja nicht die Entscheidungen für die Anderen übernehmen, auch wenn die das häufig wollen, jedenfalls insgeheim. Sondern ich will sie antreiben, endlich selber die wichtigen Entscheidungen zu treffen. Am Besten mit Freude und nicht mit Angst.

TSI: Gibt es Leute, bei denen die Angst einfach zu groß ist, bei denen das sowieso nichts wird?

Sauer: Ja, die gibt es. Das ist wichtig zu wissen! Es gibt Leute, die sind zufrieden mit allem, so wie es ist, die wollen keine Entscheidungen treffen und dann ist das eben auch in Ordnung. Schade ist nur, wenn jemand es eigentlich könnte und auch will, es aber nicht tut. Richtig mies wird es, wenn er dann noch darunter leidet.

TSI: Was sagen Sie denn denen, die das Entscheiden lernen wollen?

Sauer: Dass sie lernen müssen, die Konsequenzen auszuhalten. Ein Entscheider ist auf jeden Fall ein unbequemer Zeitgenosse, irgendeiner wird immer unzufrieden sein mit seiner Entscheidung. Die Eltern, die nicht wollen, dass das Kind auszieht; Der Kollege, der sich in der vollkommen unwichtigen Abteilung so schön eingerichtet hat, die Geschäftspartner, die das Geschäft lieber langsam ausbauen würden… Was ich meinen Klienten aber vor allem klar mache, wenn wir an diesem Punkt sind, ist, dass es sich lohnt unbequeme Entscheidungen zu treffen. Wenn ich einmal die schwere, die vielleicht miese Entscheidung gefällt, das große Problem gelöst habe, dann zerfallen viele kleine Fragen und Probleme – die sind dann auf einen Schlag erledigt. Die tausend Entscheidungen dazu, wie die unwichtige Abteilung weiterlaufen kann, die vielen kleinen Konflikte: fällt alles weg.

TSI: Und wenn ich kein Manager bin, sondern einfach so´n Typ, der mit Freunden in einer Bar ist, und sich nicht entscheiden kann, eine wundervolle Unbekannte anzusprechen?

Sauer: Dann würde ich auch dem nicht sagen, was er jetzt zu tun hat. Sondern einfach nur: Wenn Du Angst vor den Fehlern hast, die Du möglicherweise machen könntest, dann bist Du jetzt, in diesem Moment, ein Versager. Deswegen ist der althergebrachte Rat, „Tu es einfach!“, immer noch der Beste. Nachdenken ist nie gut. Klar, wenn es komplex ist, muss Abwägen manchmal schon sein. Aber am Ende sind die Bauch-Entscheidungen einfach die besten.

TSI: Und warum brauchen die Leute dazu Ihren Rat, das sollte doch eigentlich jeder erkennen können, oder?

Sauer: Sollte man meinen, ist aber nicht so. Dafür gibt es nach meiner Ansicht zwei Gründe. Der erste: Wir werden, wenn wir in die Schule gehen, wenn wir eine Ausbildung machen oder studieren dazu erzogen, Werkzeuge zu benutzen. Das ist erst mal gut. Aber meist wird das Werkzeug im Laufe der Zeit zum Selbstzweck, es versteinert sozusagen. Wir sehen die entscheidenden Dinge nicht mehr. Wir können zum Beispiel einen Rechtsstreit führen, einen Artikel schreiben oder einen Eintopf kochen, was weiß ich. Wir haben die Werkzeuge dazu an die Hand bekommen, wir wissen wie es geht ohne groß darüber nachdenken zu müssen. Aber was die meisten Menschen nicht können, ist die Frage zu stellen, die doch viel entscheidender ist: Muss ich hier überhaupt einen Rechtsstreit führen oder soll ich mich mit meinem jetzigen Gegner nicht lieber zusammentun? Ist ein Interview überhaupt die richtige Form des Artikels oder sollte ich nicht lieber einen Dokumentarfilm drehen oder einen Roman schreiben? Und so weiter. Die Perspektive wechseln zu können, das macht den Unterschied zwischen Entscheidern und Nicht-Entscheidern.

TSI: Und der zweite Grund?

Sauer: Wir haben in Europa und ganz besonders in Deutschland ein Riesen-Problem mit der Fehlerkultur. Einen Fehler zu machen ist was Unanständiges, da verliert man sein Gesicht, oder nicht? Dadurch lähmt diese schlechte Fehlerkultur unsere Entschlusskraft. Ein Mentor hat mal zu mir gesagt: „Die Welt wurde von Dilettanten aufgebaut. Von Leuten, die nicht überblicken konnten, welche Konsequenzen ihre Entscheidungen haben könnten, weil es keine Erkenntnisse gab.“ Aber die mussten einfach voranschreiten, ohne Rücksicht auf mögliche Fehler. Und ich finde, damit sind wir Menschen ganz schön weit gekommen.

TSI: Aber es stimmt doch, dass falsche Entscheidungen fatale Konsequenzen haben können!

Sauer: Na und?! Der Punkt ist doch: Es ist sogar besser eine falsche Entscheidung zu treffen als gar kein Entscheidung. Natürlich muss die Entscheidung nach bestem Wissen und Gewissen getroffen werden – aber das macht doch eh Jeder – und ab dem Zeitpunkt ist man doch erleichtert, ich habe gehandelt, was jetzt passiert liegt nicht mehr vollständig in meiner Hand. Das muss man eben akzeptieren können. Na gut, am Ende war die Entscheidung falsch, weil mehrere Dinge passiert sind, die ich vorher nicht habe kommen sehen. Bitte, dann ist das eben so, da bin ich doch hundert Prozent im Reinen mit mir. Ein Entscheider ist, in dem Sinne, immer zufrieden. Denn er kommt mit jeder, sogar mit einer falschen, Entscheidung ein Stück weiter.

TSI: Also: Wenn es geklappt hat, war ich es, wenn es nicht geklappt hat, sind die Umstände Schuld?

Sauer: Nein, bloß nicht! Im Gegenteil: Ein echter Profi zeichnet sich gerade dadurch aus, dass er die Schuld niemals irgendwo anders sucht als bei sich selbst. Es gibt komplizierte Einflüsse, schlechte Umstände. Aber an dem Punkt, wo eine Entscheidung ansteht, kenne ich die. Daran kann ich nichts ändern, die fließen in meine Entscheidung ein. Natürlich, wenn was schiefgegangen ist, schaue ich mir an, was ich daraus jetzt lernen kann für die nächste Entscheidung. Aber immer unter dem Gesichtspunkt: Was habe ich übersehen, was muss ich in Zukunft anderes bewerten.

TSI: Und welcher Ihrer Klienten hat das besonders verinnerlicht?

Sauer: Tut mir leid, aber über meine Klienten rede ich nicht, oder höchstens anonymisiert. Ich habe aber ein Lieblingsbeispiel für einen solchen Vollprofi, der hat aber meine Beratung nicht nötig: Jürgen Klopp, der lebt das, und seine Spieler sind immer besser als ihre tatsächlichen fußballerischen Möglichkeiten. Raten Sie mal, woran das liegt!

TSI: Wir wollen nicht raten. Erklären Sie uns, warum ausgerechnet Klopp ihr Favorit ist!

Sauer: Na zum einen wie gesagt wegen der Fehlerkultur. Klopps Spieler machen immer Fehler, zu viele Fehler nach gängiger Lesart, darum hat ihn auch lange niemand so ganz ernst genommen. Ich denke nicht, dass am Ende derjenige gewinnt, der die wenigsten Fehler macht, sondern immer der, der sich traut, die meisten Entscheidungen zu fällen. Und die beste Führungskraft ist, wer es schafft, seinen Leuten genau diese Einstellung auch zu vermitteln. Der hat dann auch selbst weniger Probleme, weil er nicht mehr alle Entscheidungen selbst treffen muss und er hat mehr Erfolg, weil insgesamt in seinem Team mehr Entscheidungen getroffen werden. Warum sollte Mario Götze nicht zum Dribbling ansetzen? Wenn er es selbst für richtig hält, ist es o.k. Falls es schiefgeht, wird es analysiert, aber niemals verurteilt.

TSI: Die Definition oder besser das Geheimrezept, um ein Entscheider zu werden ist also?

Sauer: Mal sehen, das Rezept besteht ja aus Dingen, über die wir jetzt schon gesprochen haben. Man nehme den Mut Fehler zu machen, dazu die Fähigkeit, Konsequenzen von falschen Entscheidungen auszuhalten und nicht zu schwer zu nehmen. Man füge Selbstkritik hinzu und suche auf keinen Fall die Fehler bei anderen oder in widrigen Umständen. Dann braucht es noch die Erkenntnis, dass es immer besser ist, gleich die eine große Entscheidung zu treffen statt tausend kleine, die nur vom eigentlichen Problem ablenken. Und natürlich die Fähigkeit, gegen Kritik und Anfeindungen an den getroffenen Entscheidungen festzuhalten. Ich denke das war´s. Viel Erfolg!


Lesen Sie auch den ausführlichen Newsletter mit Tipps zum Thema „Entscheidungen treffen“ im Magazin der Values Academy >>

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